Joseph Beuys, Louisa Clement, Günther Förg, Mary Heilmann, Young-Jae Lee, Anne Pöhlmann, Fari Shams, Heidi Specker, Matthias Wollgast
„Was ist Spiel?“, fragten sich die Architekten Richard Dattner und M. Paul Friedberg, „Gurus der Spielplatz-Revolution in New York“ in den 1960er Jahren, als sie den Auftrag bekamen, Spielplätze zu entwerfen. Und wie ist Spiel gesellschaftlich eingebettet? Innerhalb der Stadt sei es in Reservate abgeschoben worden, umzäunte Wippen, Schaukeln, Rutschen. Das Spiel habe seinen festen Spiel-Platz, außerhalb die „wirkliche“ Welt. Zudem habe eine Ökonomisierung des Spiels stattgefunden. Das Spiel als gesellschaftlichen Freiraum gelte es zu reaktivieren, als Moment, in dem man tut, was man tun will, bei dem man miteinander eigene Regeln vereinbart, sich und die Welt neu erkundet.
Das Interview, welches Fari Shams 2018 mit beiden führte, ist von Bildern unterschiedlicher Spielplätze aus unterschiedlichen Kulturen durchzogen. Signifikant für die Arbeitsweise der Künstlerin sind ihre aufwendigen Recherchen. In ihnen erarbeitet sie ein Thema nahezu soziologisch oder kulturwissenschaftlich, bevor sie eine künstlerische Form wählt. Shams zentraler Beitrag für die Ausstellung beruht auf einer Performance bzw. einem „experimentellen Lehrstück“, welches im vergangenen Jahr im Parkhaus des Malkastenparks in Düsseldorf an drei Abenden zu Aufführung kam: Passivität und Aktivität, Erfahrungen des Alltags und des Spiels wurden miteinander verhandelt, Fragen des Köpers und der lehr- oder arbeitsbedingten Normierung. Performer trafen auf das Publikum und das jeweilige Feedback veränderte die Struktur der folgenden Abende. Dabei ging es darum, die Teilnehmer der Veranstaltung aktiv in die Gestaltung und Weiterentwicklung des Stückes mit einzubeziehen und dessen jeweilige Form selbst zu definieren.
Das Interview mit Dattner und Friedberg fungierte in Düsseldorf wie hier als Hinführung zu der Frage, welchen Wert wir dem freien Spiel – als Experiment und Opposition zum funktionalistischen Menschenbild – zumessen; und welchen enormen Wert es in einer, sich „frei“ nennenden, Gesellschaft haben sollte.
Der Spiel-Impuls war für das Lehrverständnis am Bauhaus grundlegend. Die von Johannes Itten 1919 etablierten und konzipierten Vorkurse brachten Kunst, freies Gestalten und Materialexperimente zusammen. Trotz seines strengen Auftretens mag dieses Konzept ein Grundstein für das posthume Erfolgsrezept Bauhaus gewesen sein. Aus ähnlichen Gründen schuf und förderte Gropius von Beginn an die Bühne im Bauhaus – ein Laboratorium für das Zusammenkommen von Denken, Körper und Raum. Eine Hochschule als Lehr- und Spielanstalt? Aus heutiger Sicht ein Traum, wenn man an den mehr und mehr ökonomisierten Hochschulbetrieb denkt. Auch wenn das Bauhaus mit zunehmend engerer Bindung an die Wirtschaft seinen Spieltrieb immer mal wieder reduzierte: Bühne, Bauhauskapelle und die berüchtigt-karnevalesken Bauhaus-Feste blieben Bestandteil des Programms.
Fari Shams denkt in dieser Hinsicht ähnlich bauhäuslerisch, wenn sie in personal educator, 2018, Lehre und Spiel verbindet. Auch sie betrachtet das Spiel in seiner gesellschaftlichen Tragweite wie Relevanz – wie kann sich Mündigkeit in einer Kultur herausbilden, wenn selbige nicht zum Um-, Gegen-, Neudenken sozialisiert? Ist es vertretbar, 2019 unter dem Bauhaus-Banner das „gute“, innovative Deutschland zu feiern, zugleich die Universitäten aber ins Exzellenz- und Fundraising-Korsett zu drängen? Gestalten, selber bauen, statt die Passivität von Rutsche, Schaukel und Wippe als Freiheit zu akzeptieren, dies bewog Shams dazu, die von Richard Dattner in den 1960er Jahren entwickelten und seitdem vergessenen Spielpaneele neu zu produzieren. Sie sind innerhalb des Museums als Angebot gedacht, selber seinen Raum zu erbauen und das Museum als eigenen, statt als Ort des institutionalisierten Schweigens, Betrachtens, körperlichen Stillgestelltseins zu unterwandern. Mitbauen erwünscht!
Wie das Verlernen bzw. Verdrängen vor-digitaler Spielideen den neuen Menschen formt, zeigen die drei „puppets“ mit Handyköpfen, auf denen Emoticons erscheinen. Die Normierung, Isolierung und Standarisierung des Menschen sowie seine Reduzierung auf wenige körperliche Funktionen scheint auf. Körperlich anwesend und doch woanders, präsent doch ohne Präsenz im Hier und Jetzt, ein Gefühl, welches man aus dem von Screens und smarten Oberflächen bestimmten Alltag kennt.
Was und wie wird der Mensch sein, wenn er sich über ein paar Jahrzehnte hinweg perfekt an die Stillstellung durch den Computer, an die funktionale Reduzierung auf den 24/7 angeschlossenen Kopf und die schnelle Bewegung der Finger gewöhnt hat? Diesem „Projekt neuer Mensch“ gilt es entgegenzutreten. Im Spiel.
Michael Stockhausen